Fünf Impulse der Wirtschaftsweisen

Das Jahresgutachten 2024/2025


Im politischen Berlin der vergangenen Wochen und Monate war oftmals die Rede von Papieren. Ob durchgestochen, geleaked oder einfach nur veröffentlicht. Sie waren Gegenstand der medialen Auseinandersetzung. Es ist aber ein Papier, welches unsere besondere Aufmerksamkeit erhalten sollte. Das Gutachten der Wirtschaftsweisen. Jedes Jahr legt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – die sogenannten „Wirtschaftsweisen“ – ein Gutachten vor, das die Lage der deutschen Wirtschaft analysiert und Empfehlungen ausspricht. Das Jahresgutachten 24/25 mit dem Titel „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“ steht ganz im Zeichen struktureller Herausforderungen und einer schwachen Konjunktur. Dieses Gutachten ist für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von großer Bedeutung, da es Orientierung bieten und die Weichen für zukünftige Entscheidungen stellen kann.

Sachverständigengutachten verfolgen grundsätzlich alle ein Ziel: Sie wollen aufklären. In nachfolgender Bearbeitung gehe ich auf fünf Aspekte des Gutachtens ein. Verfasserseitig werden diese auch mit Blick auf die kommende Bundestagswahl 2025 betrachtet. Es ist davon auszugehen, dass diese Themen entscheidend für die Gesamtlage der deutschen Wirtschaft sein werden. Ob diese auch thematisch in den Wahlkampf einfließen werden, gilt es abzuwarten.

1. Schwache Konjunktur: Industrieschwäche als Wachstumsbremse

Die deutsche Wirtschaft leidet unter einer anhaltenden Wachstumsschwäche. Für 2024 prognostiziert der Sachverständigenrat einen BIP-Rückgang von 0,1 %, gefolgt von einem minimalen Wachstum von 0,4 % in 2025. Besonders betroffen ist die Industrie: Energieintensive Sektoren wie die Chemie- und Maschinenbauindustrie sind durch hohe Produktionskosten und eine schwächelnde Weltwirtschaft belastet. Die Industrieproduktion ist seit 2022 um mehr als 7 % gesunken, was nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdet, sondern auch Arbeitsplätze in der Branche bedroht.

2. Inflation und eine Reform der Schuldenbremse

Zwar verlangsamt sich die Inflation auf 3,5 % im Jahr 2024, bleibt jedoch deutlich über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese Entwicklung wird durch hohe Energiepreise und strukturelle Kostensteigerungen verstärkt. Der Rat empfiehlt eine Reform der Schuldenbremse, um notwendige Investitionen nicht zu blockieren. Aktuell fließen nur 2,5 % des BIP in öffentliche Investitionen, deutlich weniger als in vergleichbaren Ländern wie Frankreich oder Schweden. Eine „goldene Regel“, die zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben unterscheidet, könnte fiskalische Spielräume schaffen und langfristige Projekte ermöglichen.

3. Digitalisierung als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit

Die Digitalisierung bleibt eine Baustelle, obwohl sie essenziell für Deutschlands Innovationskraft ist. Besonders im Finanzsektor zeigen sich Chancen durch digitale Zentralbankwährungen und FinTech-Unternehmen. Der Bericht betont, dass nur 60 % der deutschen Unternehmen digitale Prozesse integriert haben, während der EU-Durchschnitt bei 73 % liegt. Im Finanzwesen könnten Innovationen wie der digitale Euro nicht nur Kosten senken, sondern auch Abhängigkeiten von nicht-europäischen Zahlungsdienstleistern reduzieren. Der Sachverständigenrat fordert Experimentierräume („Regulatory Sandboxes“), um technologische Fortschritte schneller und risikoärmer zu testen.

4. Wohnraum: Mangel und hohe Preise

Die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt belastet zunehmend breite Bevölkerungsschichten. In Ballungsräumen sind die Mieten seit 2010 um fast 50 % gestiegen, während die Anzahl der neu fertiggestellten Wohnungen deutlich hinter dem Bedarf zurückbleibt. Im Jahr 2023 wurden nur 240.000 Wohnungen fertiggestellt, obwohl jährlich mindestens 400.000 erforderlich wären. Der Sachverständigenrat empfiehlt gezielte Maßnahmen wie die Senkung der Baukosten, die Erschließung neuer Flächenpotenziale und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus.

5. Dekarbonisierung und Energiesicherheit

Die Transformation des Energiesektors und die Dekarbonisierung des Verkehrs sind zentrale Herausforderungen. Der Verkehr verursacht rund 20 % der deutschen CO₂-Emissionen, wobei der Güterverkehr ein wesentlicher Faktor ist. Der Rat fordert den Ausbau der Schieneninfrastruktur, Investitionen in alternative Antriebe und die Modernisierung der Energieversorgung. Gleichzeitig muss die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert werden. Hier besteht akuter Handlungsbedarf, da Deutschland noch immer 35 % seines Energieverbrauchs aus Erdgas deckt.

Perspektiven für die Zukunft

Diese Themen bleiben nicht nur kurzfristig relevant, sondern werden auch in den kommenden Jahren die wirtschaftspolitische Agenda bestimmen. Die schwache Konjunktur, der Fachkräftemangel und die digitale Transformation stellen Herausforderungen dar, die sowohl politisches Handeln als auch gesellschaftlichen Diskurs erfordern. Angesichts der anstehenden Investitionen in Klimaschutz, Infrastruktur und Innovation ist klar: Die Empfehlungen des Sachverständigenrats werden eine zentrale Rolle spielen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen.

Dieser Überblick zeigt, dass der Sachverständigenrat klare und umsetzbare Handlungsempfehlungen gibt, die Politik und Wirtschaft dringend aufgreifen sollten. Die Zeit drängt, denn ohne entschlossene Reformen droht Deutschlands Stellung als führende Wirtschaftsnation zu erodieren.

Über die Sachverständigen

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch bekannt als die „Wirtschaftsweisen“, besteht aus fünf renommierten Wirtschaftswissenschaftler:Innen, die jeweils umfassende Expertise in unterschiedlichen Fachbereichen mitbringen. 

  • Prof. Dr. Veronika Grimm, Expertin für Energie- und Wirtschaftspolitik, 
  • Prof. Dr. mult. Dr. h.c. Ulrike Malmendier, Spezialistin für Verhaltensökonomie und Finanzmärkte, 
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer, Vorsitzende und Fachfrau für Innovationsforschung und Wettbewerbspolitik, 
  • Prof. Dr. Achim Truger, der sich auf Finanzpolitik und öffentliche Haushalte konzentriert, und 
  • Prof. Dr. Martin Werding, dessen Schwerpunkte Sozialpolitik und Demografie umfassen.

Die Hilfskräfte

Die Mitglieder des Sachverständigenrats erstellen das Jahresgutachten nicht allein. Sie werden dabei von einem wissenschaftlichen Stab und einer Geschäftsstelle unterstützt, die wesentliche Vorarbeiten leisten. Der wissenschaftliche Stab besteht aus hochqualifizierten Fachleuten, darunter promovierte Ökonomen und Experten aus verschiedenen volkswirtschaftlichen Disziplinen. Diese Mitarbeiter führen Analysen durch, bereiten Daten auf, erstellen Prognosen und unterstützen die Ratsmitglieder bei der Strukturierung und Formulierung der Inhalte.

Darüber hinaus greifen die Wirtschaftsweisen auf Input aus Expertenanhörungen, wissenschaftlichen Studien und Gesprächen mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und internationalen Institutionen zurück. Beispielsweise tauscht sich der Rat regelmäßig mit Organisationen wie der Europäischen Kommission, der Bundesbank oder dem Internationalen Währungsfonds aus, um aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen besser zu verstehen.

Am Ende liegt die Verantwortung für die Inhalte des Gutachtens jedoch vollständig bei den Ratsmitgliedern. Sie entscheiden über die Schwerpunkte, die Bewertungen und die wirtschaftspolitischen Empfehlungen. Diese enge Zusammenarbeit zwischen Ratsmitgliedern und wissenschaftlichem Stab gewährleistet die wissenschaftliche Fundierung und die Praxisnähe des Gutachtens.